USK-Prozess in Augsburg – Eine Katastrophe für den Rechtsstaat

Zum ersten Heimspiel der vergangenen Saison empfing der FCA die Borussia aus Mönchengladbach im ausverkauften Schwabenstadion. Das 4:4 Spektakel auf dem Rasen sollte an diesem Tag aber in den Hintergrund rücken, machte nach Abpfiff des Spiels ein Bild der Mönchengladbacher Fanhilfe die Runde, auf dem ein Schussloch in einem Gladbacher Fanbus zu sehen war. Der Schuss wurde von einem Beamten des USK Bayern abgegeben. Der Prozess gegen den Angeklagten, welcher zu einem Jahr und acht Monaten Freiheitsstrafe auf zwei Jahre Bewährung verurteilt wurde und damit seinen Beamtenstatus verliert, fand nun am Augsburger Landgericht statt, wobei wir als Rot-Grün-Weiße Hilfe e.V. den Prozess kritisch begleiteten und im Folgenden unsere Eindrücke schildern möchten. Vorneweg können wir bilanzieren: der Prozess wirft mehr Fragen auf als er beantworten konnte und lässt tief in strukturelle Probleme innerhalb des USK und LKA sowie der Gerichte blicken. 

Die Anklage der Staatsanwaltschaft lautete „Gefährliche Körperverletzung im Amt“ sowie „Sachbeschädigung“. In Gerichtsverfahren ist es gängige Praxis, dass die zuständige Staatsanwaltschaft vom Äußersten ausgeht und daher zumeist die schwerwiegendste mögliche Straftat, die im Raum steht, zur Anklage bringt. Es stellt sich nun schon vor Prozessbeginn die Frage, warum die Anklage nicht von mehr ausging. Schließlich ergeben die Zeugenvernehmungen des zuständigen bayerischen LKA, dass der Beamte einen zielgerichteten Schuss abgab, und dabei – laut Meinung des geladenen Sachverständigen – den Kopf eines anderen Beamten nur knapp verfehlte. Ein möglicher Treffer hätte tödlich enden können. Darüber hinaus hatten sowohl der Staatsanwalt als auch die Verteidigung in ihrem Plädoyer dem Angeklagten Vorsatz bei seiner Tat attestiert. 

Zum ersten Prozesstag wurden insgesamt sieben Zeugen sowie zwei Sachverständige geladen. Neben einem USK-Ausbilder aus Dachau wurden sechs weitere Polizisten gehört, die den Vorfall allesamt aus unmittelbarer Nähe beobachteten. Dabei schienen die Erinnerungen aller Zeugen nahezu identisch zu sein. So schilderten sie, wie der USK-Beamte K. zusammen mit seinen drei USK-Kollegen aus demselben Fahrzeug eine mehrere Stunden andauernde Wasserschlacht gegen vier andere USK-Beamte aus einem anderen Einsatzwagen führte. Gegipfelt schien diese mit dem Versuch eines Ablenkungsmanövers des Angeklagten, um einen mit Wasser gefüllten Einmalhandschuh in das Fahrzeug seiner Kollegen werfen zu können. Als Gegenreaktion darauf richtete einer der „bespritzten“ USK-Beamten eine Wasserpistole auf den Angeklagten, welcher daraufhin mutmaßlich die Fassung verlor. K. machte zwei Schritte zurück, zog seine Dienstwaffe und setzte einen Schuss in das geöffnete Dienstfahrzeug ab, ehe er seine Waffe wieder in das Holster zurücksteckte. Zu Beginn des Prozesses hatte K. noch angegeben, sich nicht an die 2-3 Sekunden des Schießvorgangs erinnern zu können. Begründet hatte er seine Reaktion damit, dass er die Wasserspritzpistole als eine Art Trigger wahrgenommen hat, woraufhin durch seinen Kopf das Wort „Beschuss“ geisterte. Er könne sich den Schuss bis heute nicht erklären, wohl aber detailliert an die Geschehnisse vor und nach Abgabe des Schusses erinnern. 

Ganz abgesehen davon, wie glaubwürdig diese abstruse Geschichte erscheint, ergeben sich daraus mehrere Fragen. Warum überhaupt benötigen Beamte im Fußballstadion Schusswaffen? Wieso sind diese nicht ausreichend gesichert? Was genau soll der Auftrag des USK bei Fußballspielen sein, wenn sich ihre Einsatzkräfte aus Langeweile mit Wasser bekriegen und „Schulhofspäße“ mit Schusswaffen fabrizieren? Warum hat der zuständige Zugführer des USK respektive der Einsatzleiter diese Wasserschlacht überhaupt geduldet? Wie hoch sind die Ansprüche an USK-Beamte, wenn diese derart die Fassung verlieren und schon im Spaß beinahe einen anderen Menschen umbringen? Selbst nach drei Verhandlungstagen bleiben diese Fragen ungeklärt. 

Unter dem Vorsitzenden Richter Christoph Kern – der jüngst den Hoffenheimer Böllerwerfer zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilte – machte das Gericht nach Einschätzung der RGWH keine allzu großen Anstalten, die geladenen Zeugen intensiver in die Mangel zu nehmen. Der zuständige Staatsanwalt – von einem anwesenden USK-Beamten vor Prozessbeginn in internen Polizeichats als „Hurensohn“ bezeichnet – verlor dagegen bei mehreren Zeugenaussagen die Fassung, schlug mit seiner Faust mehrmals auf den Tisch und schrie durch den Gerichtssaal. Ihn brachten offensichtlich die abgesprochen wirkenden Zeugenaussagen auf die Palme. Er tätigte dabei sinngemäß Aussagen wie „Ich lass mich nicht verseppeln“ oder „Ich kann Ihnen nix nachweisen, aber es ist beschämend“. Selbst die Verteidigung des Angeklagten hatte feststellen müssen, dass die Zeugenaussagen der USK-Beamten desolat waren. 

Auch der am zweiten Verhandlungstag geladene interne Ermittler des LKA Bayern räumte mehr oder weniger ein, dass die USK-Beamten sich vor ihrer Zeugenvernehmung im Zuge der Ermittlungen über den Vorfall ausgetauscht hatten und eine sehr ähnliche Schilderung vortrugen. Wie professionell das LKA die Ermittlungen gegen ihre eigenen Kollegen vom USK angeht, bewies er allen Anwesenden im Gerichtssaal: nämlich mit nicht vorhandener Vorbereitung und maximalem Desinteresse. Selbst der Richter machte einen verwunderten Eindruck über das planlos wirkende Auftreten des internen Ermittlers. Auf die Frage, ob die USK-Beamten wahrheitsgemäß in ihren Vernehmungen antworteten, erwiderte der LKA-Beamte mit „Nein, natürlich nicht!“. „Beschämend“ für einen Rechtsstaat und „Wasser auf die Mühlen von Polizeikritikern“, wie selbst der Staatsanwalt in seinem Resümee konstatieren musste. 

Neben dem Angeklagten standen insbesondere auch die als Zeugen geladenen USK-Beamten im Mittelpunkt unserer Beobachtung. Während der Zeugenvernehmung hinterließen vor allem zwei USK-Beamte im Auftreten große Zweifel an ihrer Glaubwürdigkeit. Ihre Aussagen deckten sich an einigen Stellen nicht mit den verschriftlichen Aussagen, die sie beim LKA im Zuge der Ermittlungen angegeben hatten. So hatte der USK-Beamte sich in mehreren Passagen im Zeugenstand anders geäußert als noch wenige Monate zuvor. Darüber hinaus tauschte er sich nach seiner Aussage über eben diese mit einem anderen USK-Beamten aus, der im Anschluss ebenfalls eine vertrauensunwürdige Figur im Zeugenstand abgab. Dass die beiden USK-Beamten trotz der Androhung eines Haftbefehls strafrechtlich davonkommen sollten, haben sie wohl mitunter ihrem Beamtenstatus zu verdanken. Ein Privileg, auf das ein „normaler“ Bürger bei derartigen Ungereimtheiten wohl nicht hätte hoffen dürfen. 

Die geschilderten Geschehnisse rund um den Schuss sowie die Aufklärung eben jener stehen sinnbildlich für strukturelle Probleme der bayerischen Polizei und Justiz. Es existiert keine unabhängige Ermittlungsstelle zur Aufklärung polizeilichen Fehlverhaltens. Polizisten ermitteln gegen Polizisten, was die Verdunklungsgefahr erhöht und eine transparente Ermittlungsarbeit ausschließt. Zudem spielt der Korpsgeist in geschlossenen Einheiten wie dem USK eine zentrale Rolle. Ein Polizeibeamter, der den eigenen Kollegen belastet und ihn nicht deckt, ist mindestens die Ausnahme, eher sogar auszuschließen. 

Zum anderen zeigt auch dieser Prozess den Anschein, dass Polizeibeamte im Zeugenstand von den Gerichten mit Samthandschuhen angefasst werden. Ihre Aussagen erfahren eine andere Wertigkeit und haben im Zweifel mehr Gewicht als die von einfachen Bürgern. Die Gleichung der Gerichte scheint zu lauten: ein Polizeibeamter hat sich in seinem Handeln Recht und Gesetz verschrieben, bei einfachen Bürgern darf dies angezweifelt werden. Ist diese Annahme für sich schon paradox, wird sie durch – nicht immer, aber doch immer wieder – Gesetzesverstöße der Polizei selbst regelmäßig ad absurdum geführt. Eine präventive Besserstellung von Polizeibeamten stärkt den Rechtsstaat nicht, sie schwächt ihn aufs Peinlichste.  

Außerdem stellt sich abermals die Frage nach der Notwendigkeit des Einsatzes vom Unterstützungskommando „USK“ bei Fußballspielen. Mehrere Beamte gaben an, sich bei Einsätzen des Öfteren zu langweilen und daher mit Späßen die Zeit zu vertreiben. Ganz abgesehen von der augenscheinlich fehlenden Professionalität dieser Einheit, muss angesichts dieser Aussagen auch der Umfang des Einsatzes des USK im Rahmen von Fußballspielen überdacht werden. 

Konkret führt uns dieser Prozess vor Augen, dass unsere im Oktober aufgestellten Forderungen (Forderungen (fanrechte-staerken.de)) an das bayerische Parlament existenziell für einen funktionierenden Rechtsstaat sind. Es darf nicht sein, dass Polizeibeamte – selbst im Falle von rechtswidrigen Handlungen – wegen ihres Status von staatlichen Institutionen geschützt werden. Unabhängige Ermittlungsstellen für polizeiliches Fehlverhalten, die Kennzeichnungspflicht für Polizeibeamte sowie ein Stopp der ausufernden Einsätze des USK im Rahmen von Fußballspielen. All diese Maßnahmen würden das gebrochene Vertrauen der Bevölkerung zumindest teilweise wiederherstellen. Wir als RGWH werden uns weiter dafür einsetzen! 

Rot-Grün-Weiße Hilfe e.V. im August 2024